E073 Wie genau kann man messen


Wie genau man messen kann, beantwortet ein Feinoptiker aus seiner langen Berufserfahrung mit Sicherheit vorsichtiger, als mancher
User, der seine Freude an spitzfindigen Haarspaltereien hat. Es artet in Rechthaberei aus, ohne besonderen Informations-Gewinn. Mit dieser
Einstellung werden hohe PV- und Strehlwerte prinzipiell als "geschönt" in Zweifel gezogen, ohne daß eine gründliche Analyse versucht
wird, welche Einflußfaktoren eine Messung beeinflussen können: Einem Feinoptiker wird man das nicht erklären müssen.

Das folgende Testergebnis entstand vor zwei Jahren und fand, wie sollte es anders sein, seinen Niederschlag in Form der üblichen
einseitigen und besser wissenden Kommentare: Die nie Gefahr laufen, sich mit den einzelnen Einflußfaktoren befassen zu müssen.

Es waren fünf Newton-Spiegel zu prüfen, zwei 8-Zöller und drei 6-Zöller mit bemerkens-wert langer Brennweite und demzufolge kleiner Öffnung.
Für derartige Spiegel ist die Autokollimations-Messung nicht anwendbar, wenn man nicht gerade einen Planspiegel mit einer 30 mm Bohrung hat,
damit abzüglich der Obstruktion durch die Bohrung noch genügend Fläche zum Messen verbleibt. Bei einem 8-inch Newtonspiegel bleibt wenig
Fläche übrig, wenn der Planspiegel z.B. 80 mm Bohrungsdurchmesser hat. Bei einer solchen Messung käme als Einflußfaktor auch noch die Genauigkeit
des Planspiegels hinzu, sowie dessen Lagerung.

http://rohr.aiax.de/L5M_01.jpg

Gemessen wurde also im Krümmungsmittelpunkt der Parabel (RoC genannt) Da hat man die ganze Fläche, und man sieht es daran, daß auf den Interfero-
grammen keine Bohrungen zu sehen ist. Bei den fünf Spiegeln entstanden also über dieses RoC-Setup höchst unterschiedliche Ergebnisse, aber auch das
Spitzenergebnis. (Und so ein Spitzenergebnis kann ja gar nicht stimmen, besonders, wenn es ein anderer gemessen hat :whistling) Bei diesem Spiegel Nr. 5
haben wir es mit einer ganz kleinen Öffnung von f/9.75 zu tun und in RoC wäre das zu verdoppeln mit R/19.50. Das ist also ein sehr schlanker Lichtkegel
mit 173 mm Durchmesser und 3374 Länge bzw. Radius.

Jeder wird wissen, daß bei einer solch langen Wegstrecke sehr viel Luftbewegung im Spiel ist, was die Messung, und im konkreten Fall den gemessenen
Astigmatismus erheblich beeinflusst. Beim Messen von Spiegel hat man es mit mehreren Ursachen von Astigmatismus zu tun: Lagerungs-A, Luft-Turbulenz-A
und spiegeleigener Astigmatismus. Nicht ohne Grund hat LZOS einen senkrechten Vakuum-Meßturm, der solche Einflüsse minimiert.
LZOS Vakuum Meßturm senkrecht

Es war also der Spiegel Nr. 5, (ausgerechnet der Beste eben) dessen hohe Qualität ohne Grund erst einmal angezweifelt wurde, prinzipielle Argumente,
die immer angeführt werden, wenn man keine belastbaren Fakten hat.

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Selbst bei einem RoC-Setup ist bei einem so langen Radius von 3374 mm die Luftbewegung nicht zu unterschätzen, sodaß ich zu Beginn zunächst
einen Astigmatismus-Ausschluß-Test durchführe. Nach der Zernike Tabelle gibt es mehrere Formen von Astigmatismus, wobei die Grundform in
der Regel diejenige ist, die ab allerhöchstens PV L/5 bei hohen Vergrößerungen überhaupt wahrgenommen wird. Ohne also beim Strehl-Wert
anteilig die jeweiligen Fehler zu betrachten ist ein isolierter Strehlwert eine schiefe Information. Man wird sich also vergewissern, ob man einen
signifikanten wahrnehmbaren Astigmatismus vor sich hat, der entsprechend berücksichtigt werden muß, oder nicht. Das folgende IGramm läßt
nur den Schluß zu, daß kein signifikanter Astigmatismus der Grundordnung im Spiel ist. @ Der Zernike Zoo Im Falle zweier anderer Spiegel
sieht das dann so aus:

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Man kann den Sachverhalt von einer anderen Seite betrachten:Es ist allgemeiner Konsens, daß man bei der Streifenauswertung Koma abziehen darf, mit dem
Argument, daß eine Parabel auf der Achse keine Koma haben kann. Damit wird aber zugleich bestätigt, daß Interferogramme trotzdem Koma enthalten, die das
Ergebnis unberechtigterweise verfälschen. Bei diesem Spiegel würde der Wert für die Koma den Strehl auf 0.961 drücken bzw. ein PV-Wert von L/7.6. Auch
die Koma ist u.a. ein Ergebnis von Seeing-Effekte und Testaufbau zwischen Lichtquelle und Spiegelfläche. Während also bei der Koma keine prinzipiellen Diskus-
sionen vom Zaun gebrochen werden, verbleibt der Low- und High-Order Astigmatismus ohne größere Differenzierung in der Diskussion. Natürlich auch Low- und
High-Order Spherical. Die Feinheiten einer Messung in Roc bleibt bei der üblichen Pauschal-Beurteilung ebenfalls "außen vor". Obwohl also die gezeigte Koma und
ihr Strehlwert im Interferogramm stecken, bleibt dieser Wert aus den bekannten Gründen unberücksichtigt. Siehe auch:

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Bei einem RoC-IGramm eines f/10 Newtonspiegels ist der Unterschied zur Sphäre bzw. Kugel nicht mehr groß. Und trotzdem ist die Überkorrektur
aus Sicht der Kugelmessung noch eindeutig feststellbar: Die Streifen sind "M"-förmig gebogen und werden als RoC-IGramm ausgewertet bzw. im Null-
Testverfahren umgerechnet.

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Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich zwei Igramme ausgewertet und danach das "schlechtere" Strehl-Ergebnis weitergegeben. Das bessere liegt sogar bei 0.999
Strehl - das muß doch geschönt sein !??? :whistling In endlosen Meßreihen - ein Feinoptiker hätte schon längst mit dem Kopf geschüttelt - kämen dann gemittelte
Ergebnisse heraus, ohne die grundsätzliche Sicherheit, ob so ein Verfahren genauer und richtiger sei, und ohne die grundsätzliche Frage, wieviel Strehl braucht
das spätere Teleskop überhaupt im Praxisbetrieb und wieviel davon läßt sich auf der Basis der Bauweise und der Standortbedingungen realisieren.

http://rohr.aiax.de/L5M_05.jpg

Das RoC-IGramm wurde also auf Null zurückgerechnet, wie es z.B. der ZYGO macht, und dadurch entsteht in diesem Fall eine perfekte PSF-Verteilung.
Die deswegen in der Praxis nicht stimmt, weil der Fangspiegel ohnehin das System obstruiert.

http://rohr.aiax.de/L5M_06.png

Das obere reale RoC-Igramm läßt sich also auf Null-zurückrechnen, und bei einem hochwertigen Spiegel entstehen dadurch absolut gerade Streifen.
Weil also dieser beste Spiegel unter fünf Spiegeln seinen Weg zum Kunden gefunden hat, ist das noch lange kein Grund, ein so erfreuliches Ergebnis
als "geschönt" zu verurteilen, nur weil man es nicht selbst gemessen hat.

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